Zuhören im Konflikt: die leise Kraft, die Vertrauen schafft
Heute denken wir gerne, früher sei alles einfacher, klarer und irgendwie ordentlicher gewesen.
Früher war alles besser
Wer gegen Atomkraft war, war auch gegen den NATO-Doppelbeschluss, für die Friedensbewegung, für den Umweltschutz und gegen den § 218 des Strafgesetzbuchs.
Arbeiter waren in Gewerkschaften organisiert und wählten SPD.
Und auf der anderen Seite standen die Konservativen: RCDS, gelber Pullunder, Pflichtbewusstsein, Kirche, klare Vorstellungen von Autorität – und fuhren je nach Alter Golf, BMW oder Daimler.
Wir wussten – so glaubten wir – woran wir waren.
Seit damals ist vieles anders geworden.
Ein Mensch mit einer Friedenstaube am Revers kann heute Putins Politik rechtfertigen.
Ein Verteidiger der Meinungsfreiheit ruft nach Zensur.
Jemand, der sich für Gleichberechtigung einsetzt, lehnt Gendersprache ab.
Eindeutigkeit ist selten geworden – und mit ihr schwindet eine sicher geglaubte Orientierung.
Wo sind sie hin, die klaren Blöcke, in die wir die anderen einordnen konnten?
Viele Menschen halten sich heute mit ihrer Meinung zurück – nicht, weil sie nichs zu sagen hätten, sondern weil sie fürchten, ihr Gegenüber steckt sie noch vor dem Ende des ersten Satzes in eine Schublade, aus der sie nicht mehr herauskommen.
Weil das Vertrauen fehlt, dass sie ihren Gedanken zu Ende sprechen dürfen, bevor ein anderer urteilt. Und womöglich verurteilt.
Selbst wenn wir uns sicher glauben, weil wir in einem Thema mit unserem Gegenüber auf einer Linie liegen, lauert mit jedem Themenwechsel die Gefahr. Viele gesellige Runden, die fröhlich beginnen, enden mit einem heftigen Knall – sobald einer erzählt, wen er bei der letzten Bundestagswahl gewählt hat.
Dabei ist es ja nicht so, als hätten wir nichts zu sagen.
Vieles von dem, was in der Welt passiert, steht unseren Bedürfnissen nach Unversehrtheit, Gesundheit, Frieden, Gemeinschaft und Intimität diametral entgegen.
Und: Wir wollen darüber reden, wie wir handeln wollen, um diese Bedürfnisse zu schützen und zu befriedigen – oder was wir von der Politik erwarten, wie sie handeln sollte.
Je weniger ich die Sicherheit habe, unbeschadet aus einer Begegnung zu kommen, desto mehr Mut brauche ich, es trotzdem zu wagen.
In der Sprache der Gewaltfreien Kommunikation sprechen wir von Strategien, wenn wir eine klare Vorstellung davon haben, wer was zu tun oder zu lassen hat, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Die Parole „Ausländer raus!“ ist ebenso eine Strategie wie die Forderung nach Windrädern, Verbrennerverbot, ÖPNV-Ausbau oder der Wiedereinführung der Wehrpflicht. Wobei die Strategie „Ausländer raus“ schon alleine deshalb mehr als fragwürdig ist, weil kaum ersichtlich ist, welche Bedürfnisse sie tatsächlich befriedigt.
Und genau diese strategischen Vorstellungen sind der Zündstoff unserer Konflikte.
Das ist der entscheidende Perspektivwechsel:
Nicht die Bedürfnisse trennen uns – sondern die Wege, die wir wählen, um sie zu leben.
Doch wo der Raum fehlt, diese Unterschiede angstfrei zu erkunden,
suchen wir Sicherheit bei Gleichgesinnten – in Gruppen, die ähnlich denken, ähnlich fühlen, ähnlich sprechen.
Dort ist es einfacher, weil wir uns verstanden fühlen.
Aber zugleich verlieren wir die Möglichkeit, Verständnis über diese Grenzen hinweg zu schaffen.
Was uns hier hilft, ist eine gesunde Streitkultur.
Und elementar für diese Streitkultur ist die Kunst des Zuhörens.
Ein paar Gedanken zum Thema Zuhören
Zur Klarheit: Zuhören ist etwas völlig anderes als zustimmen.
Zuhören heißt: verstehen wollen, was jemand meint – auch dann, wenn es uns irritiert, auch wenn er unglückliche Worte wählt.
Verstehen, was der andere meint, ist wiederum etwas völlig anderes als Zustimmung.
Wir können unsere Meinung sagen – zu den Worten, die wir gehört haben – und dabei Abstand davon nehmen, den ganzen Menschen auf Basis seiner Worte zu beurteilen oder gar zu verurteilen.
Ehe wir urteilen, sollten wir nachfragen.
Uns vergewissern, dass wir den anderen richtig verstanden haben.
Eine einfache, aber wirksame Methode:
Ich formuliere das, was ich gehört habe, mit meinen eigenen Worten und frage mein Gegenüber, ob ich ihn korrekt wiedergegeben habe.
Erst wenn er zustimmt, kann ich davon ausgehen: Ich habe verstanden.
Wir dürfen – ja, wir sollten – offenlegen, dass es uns irritiert.
Wir dürfen sagen, dass uns etwas missfällt.
Aber bevor wir antworten, sollten wir wirklich gehört haben.
Denn Vertrauen entsteht nicht durch Einigkeit.
Vertrauen entsteht, wenn wir einander das Recht zugestehen, verschiedene Erfahrungen gemacht zu haben – und trotzdem im Gespräch zu bleiben.
Und wenn wir lernen, das Gesagte zu beurteilen, nicht den Menschen.
Reflexionsimpuls
Wie geht es mir, wenn ich schwierige Meinungen, Thesen oder Glaubenssätze anderer Menschen höre?
Was genau macht mir in diesen Momenten Stress?
Und was brauche ich dann – wirklich?
Manchmal ist es weniger Zustimmung, die wir suchen,
sondern Sicherheit, gehört zu werden, ohne bewertet zu werden.
Und vielleicht beginnt genau dort die Kunst, wirklich zuzuhören.
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