Mit Systemischen Konsensieren zur optimalen Lösung

Systemisches Konsensieren: Teambuilding durch gemeinsame Entscheidungsfindung – Teil 1

Funktionierende Teams leisten mehr als die Summe brillanter Einzelkämpfer. Das haben viele Unternehmen erkannt und tun auch etwas dafür. Sie lassen nicht nur einzelne Mitarbeiter, sondern das gesamte Team coachen oder moderieren.

Teams sind nicht automatisch erfolgreich, aber es gibt gute Möglichkeiten, das Bilden von funktionierenden Strukturen positiv zu beeinflussen. 

Das 4-Stufen-Gesetz bei der Teambildung

Gruppendynamik ist ein Naturgesetz und die Abfolge bei der Teambildung immer die gleiche. Sobald der Rahmen für die Umsetzung geschaffen wurde (»Forming« des Teams), beginnt sich die Gruppendynamik auszuwirken und fordert beim Zusammenraufen (»Storming«) oft ihren Tribut. 

Dabei ist der Übergang in die nächste Phase (“Norming”) besonders wichtig. Denn hier werden Regeln festgelegt, die das spätere “Performing” der Gruppe, also die Leistung und Zusammenarbeit beeinflussen.

Vor allem an diesem Punkt ist “Systemisches Konsensieren (SK)” eine hilfreiche Methodik.

Für die gesunde Teambildung ist es wichtig, dass die einzelnen Mitglieder den Bedürfnissen der anderen Aufmerksamkeit schenken. SK schafft Fairness und Transparenz bei der Suche nach passenden Lösungen für alle Beteiligten.

Warum Systemisch Konsensieren?

Vereinfacht ausgedrückt, geht es darum, die Lösung zu identifizieren, die bei allen Gruppenmitgliedern den geringsten Widerstand hervorruft. Das muss nicht zwingend die Lösung mit den meisten Befürwortern sein, denn das Ergebnis einer Mehrheitsabstimmung sagt häufig wenig aus.

Ein Beispiel aus dem Alltag eines zehnköpfigen Teams: “Wo gehen wir Mittagessen? Pizzeria? Bayrisch oder Asiatisch?” 

Vier wollen zum Italiener, drei wünschen Wiener Schnitzel, zwei haben Hunger auf Thai und einer sagt, egal, solange es Salat gibt. Nach einfachem Mehrheitsbeschluss entscheiden damit vier von zehn Kollegen den Gang in die Pizzeria. Das bedeutet, dass mindestens 50% der Stimmen mit ihren Bedenken, Bedürfnissen und Interessen keinen Raum erhalten.

Mehrheitsentscheidungen kommen in erster Linie den Starken oder Lauten zugute. Doch auch vermeintlich schwache, weil stille Teilnehmer haben hilfreiche Ideen und tragen mit wertvollen Gedanken zu guten Lösungen bei. 

Wer die Frage stellt, hat die Macht. In einer Kooperation, die Entscheidungen per Mehrheitsbeschluss trifft, braucht es eine laute Stimme mit der Autorität, einen Vorschlag zur Abstimmung zu bringen. Der Fokus liegt dabei auf dessen konkreten Vorschlag und die Diskussion dreht sich nur um dessen Vor- und Nachteile. 

Die anderen Vorschläge werden sozusagen als “durchgefallen” aussortiert. Auf eine künftige Zusammenarbeit in der Gruppe wirkt sich diese Unzufriedenheit eines Teils des Teams negativ aus. Ein typischer Effekt wird sichtbar in Statements wie “Ich habs ja gleich gesagt!”

Nach SK sähe die Abstimmung vielleicht anders aus. Jeder Vorschlag wird unabhängig von allen anderen bewertet. Wir bestimmen den Widerstand, in dem wir unsere Hände heben und zählen: Kein Widerstand: ich hebe keine Hand, bei leichtem Widerstand hebe ich eine Hand und bei starkem Widerstand beide Hände. Bei zehn Teilnehmern können wir maximal 20 Hände heben, ein Lösungsvorschlag kann somit maximal 20 Widerstandspunkte erreichen. 

Abstimmungsergebnis
Abstimmungsergebnis gemäß Systemischen Konsensierens. Der geringste Widerstand entspricht der höchsten Akzeptanz des Lösungsvorschlags „Bayrisch“.

Damit wird sichtbar, dass die höchste Akzeptanz in der Gruppe bei dem Vorschlag “Bayrisch” liegt. Ja, kann sein, dass das nicht immer die erste Wahl wäre, aber wenn es doch kommt, kann ich damit gut leben.

SK eröffnet Lösungsräume

Bei SK entscheidet die Gruppe nicht nur über einen Vorschlag, sondern auch über die Fragestellung: Was will die Gruppe mit der Entscheidung erreichen? Dadurch ergibt sich häufig eine neue Sicht auf die gewünschte Lösung. Manchmal werben Menschen für eine konkrete Lösung, ohne dabei der Problemstellung besonders viel Aufmerksamkeit zu schenken. Eine SK Moderation dagegen stellt immer den Zusammenhang zwischen der Aufgabe, die es zu lösen gilt und Lösungsvorschlägen her.

Während der gemeinsamen Bearbeitung einer Aufgabe kann eine Gruppe feststellen, dass noch Voraussetzungen für die Formulierung einer Lösung fehlen. Der SK Moderator wechselt auf die Prozessebene und klärt mit der Gruppe, ob zuerst andere vorrangige Fragen geklärt werden müssen, ehe die ursprünglichen Frage weiter bearbeitet werden kann. Die Gruppe steuert also die Ergebnisse der Zusammenarbeit nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch auf der Prozessebene, in dem sie über die Reihenfolge entscheidet, in der wichtige Fragen geklärt werden. 

Raum für Diskussion und Beziehungsaufbau

Das SK-Prinzip zielt darauf ab, jedem Vorschlag Raum zu geben, möglichst unabhängig von allen anderen Vorschlägen. Indem gezielt nicht auf Mehrheiten, sondern auf Widerstände (also: ablehnende Momente) geachtet wird, können zu jedem Vorschlag Einwände vorgebracht werden. Die ganze Gruppe kann sich einbringen und in der Diskussion der Einwände können Verbesserungen vorgeschlagen oder weitere Lösungsalternativen eingebracht werden. Letztlich soll der Vorschlag identifiziert werden, der den geringsten Widerstand in der Gruppe erzeugt. Dieser wird am besten innerhalb der Gruppe getragen und hat somit die größte Akzeptanz. 

Durch dieses Vorgehen fördert Systemisches Konsensieren auch die Autonomie der Gruppe, im besten Fall bis hin zur Selbst-Organisation.

Optimale Randbedingungen

Gruppengröße: Ideal für SK sind Gruppen zwischen 5 und 20 Mitgliedern. Ein Moderator alleine und ohne technische Hilfsmittel zur Ermittlung der Abstimmungsergebnisse, kann eine Gruppe von bis zu 30 Teilnehmern moderieren. 

Je größer die Gruppe, desto höher sind die Anforderungen an personelle und technische Unterstützung des Moderators.

Weiterhin sollte die Gruppe in einen Raum passen und jedes Mitglied mit der gleichen Möglichkeit zur Teilnahme ausgestattet werden können.

Für wen eignet sich Systemisches Konsensieren besonders?

SK macht vor allem für Gruppen Sinn, in denen unterschiedliche Meinungen vorherrschen. Und zwar sowohl bezüglich der richtigen Vorgehensweise als auch den Inhalten der Arbeit.

Es macht insbesondere Sinn, wenn eine Gruppe Konflikte nicht mehr in Eigenregie klären kann oder gar droht, auseinanderzubrechen.

Von Systemischem Konsensieren zur Selbstorganisation

Solange eine Gruppe oder ein Team nur wenig Erfahrung mit der Moderation nach dem SK-Prinzip hat, ist die Begleitung durch einen Moderator essentiell.  Die Qualität eines Moderators liegt auch bei diesem Verfahren in seiner unbedingten Neutralität. Er sollte sich fachlich und inhaltlich möglichst aus der Diskussion heraushalten. Seine Aufgabe ist, Aussagen zu wiederholen, Paraphrasen anzubieten und – vor allem – darauf zu achten, dass Teilnehmer valide und verständliche Lösungsvorschläge formulieren. Sonst läuft das ganze aus dem Ruder.

Im Laufe der Zeit wächst die Erfahrung der Gruppe mit dieser Art der Moderation. Die Mitglieder erlernen die Aufgabe des Moderators, wo er tätig werden sollte und wo nicht. Wenn dieser Zeitpunkt erreicht ist, können Vertreter der Gruppe selbst die Rolle des Moderators einnehmen. Wichtig dabei ist, dass diese peinlich genau auf die Trennung der beiden Rollen achten: Agieren sie gerade als Moderator, also neutral und ohne inhaltliche Beteiligung, oder wechseln sie in die Rolle des Teilnehmers und sagen: “Also, als Teilnehmer dieser Runde möchte ich noch einen Vorschlag machen. Darf ich?”. Es ist verständlich, dass diese Trennung anfangs nicht einfach ist, doch nach einer Weile funktioniert es.

Mit entsprechender Erfahrung in der Gruppe kann also auf einen externen Moderator verzichtet werden. Wichtig ist, dass hinreichend Erfahrung im Raum vertreten ist, um den Moderator in seiner Moderationsrolle zu akzeptieren und ihn im Prozess zu unterstützen.

So ist es also durchaus denkbar, dass in einer Teambesprechung als erstes vereinbart wird, wer moderiert: Ich schlage vor, heute moderiert Friederike. Gibt es Einwände? Friederike, bist Du einverstanden? Ok. Vielen Dank!

Ab diesem Moment kann die Gruppe sich über die Agenda verständigen und je nach Energie, Zeit und Kapazität in eigener Regie die Themen bearbeiten, bei denen Konsens besteht, dass sie vorrangig angegangen werden müssen. Friederike moderiert und beteiligt sich inhaltlich nur nach vorhergehender Absprache.

Neugierig geworden?

In den kommenden Tagen werde ich ein Fallbeispiel veröffentlich. Oder, sollten Sie nicht warten wollen, sprechen Sie mich an und wir diskutieren Ihre konkreten Anforderungen! Ich beteilige mich gerne an Ihrem Weg zu Ihrer Lösung – im Zweifel durch konstruktive Fragen! Vereinbaren Sie jetzt gleich einen Termin!

Dieser Text sowie das bald folgende Fallbeispiel ist erstmals erschienen am 29. Juli 2020 als Fachbuchbeitrag in „Sammlung Infoline 28: Außergewöhnliche Coaching-Methoden“, herausgegeben von Werner Müller.

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