Systemisches Konsensieren: Teambuilding durch gemeinsame Entscheidungsfindung – Ein Beispiel (Teil 2)

Nachdem ich im Beitrag Systemisches Konsensieren: Teambuilding durch gemeinsame Entscheidungsfindung – Teil 1 die theoretische Anleitung fĂŒr eine SK-Moderation beschrieben habe, hier nun ein praktisches ein Beispiel:

Konkretes Beispiel: Einsatz von SK in einem Software-Projekt

HĂ€ufiges Szenario: In einem Projekt kĂ€mpft man mit QualitĂ€tsproblemen. In der Folge können wichtige Termine nicht gehalten werden und das Projektziel ist in Gefahr. Eine enorme Belastung fĂŒr den Projektleiter, der die Verantwortung trĂ€gt. Da er unter großem Druck steht, macht er sich auf die Suche nach den Verantwortlichen fĂŒr die QualitĂ€tsprobleme und stĂ¶ĂŸt auf viele Fragezeichen.

Die Software Tester verweisen auf die Implementierung, die Programmierer wiederum auf widersprĂŒchliche und unvollstĂ€ndige Anforderungen, das Anforderungsmanagement klagt ĂŒber fehlende Verbindlichkeit in der Kommunikation mit dem Kunden. TatsĂ€chlich sieht jede betroffene Partei die Ursache fĂŒr alle Probleme in den anderen Parteien. 

Die Situation ist verfahren, klar ist nur, dass die Zusammenarbeit im Projekt verbessert werden muss, wenn das QualitĂ€tsproblem vom Tisch soll. Der Projektleiter entschließt sich fĂŒr einen Teamworkshop mit dem klaren Ziel: LösungsvorschlĂ€ge zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Projekt erarbeiten. Hier komme ich als Moderator ins Spiel und schlage die SK-Methodik vor. Das Team stimmt zu und es kann losgehen.

Bei Beginn des Workshops erklĂ€re ich als Moderator die Regeln des SK und bitte um Abstimmung, ob das Team einverstanden ist, den Tag nach dem SK-Prinzip zu moderieren. Ich bitte die Runde um VorschlĂ€ge: “WorĂŒber wollen wir heute sprechen?” Damit startet der Moderator auf der Prozessebene, um zu klĂ€ren, worĂŒber die Teilnehmer bereit sind zu arbeiten. Der Unterschied zu einem herkömmlichen Workshop-Moderation zeigt sich sofort.

TN1 meldet sich mit dem ersten Vorschlag: “Wir brauchen bessere Software!”

Moderator: “Was meinst Du konkret? Lautet Dein Vorschlag: Lasst uns darĂŒber sprechen, wie wir zu besserer Software kommen, um besser arbeiten zu können?”

TN 1: “Nein, ich meine, die Entwickler sollen bessere Software ausliefern!”

Moderator: “Also, wir sprechen darĂŒber, wie die Entwickler bessere Software ausliefern können?”

TN 2: “Das ist doch Quatsch! Wie soll denn die Software besser werden, wenn die Anforderungen Mist sind.”

Moderator: “Der Reihe nach. TN 2, ich höre, dass Du etwas anderes vorschlagen willst, doch zuerst möchte ich den ersten Vorschlag verstehen und dann auf dem Flipchart notieren. Damit wir spĂ€ter darĂŒber abstimmen können! TN 1, habe ich Deinen Vorschlag so richtig verstanden?”

TN 1: “Ja, genau!”

Moderator geht zum Flipchart und notiert: “V1: Wir sprechen darĂŒber, wie die Entwickler bessere Software ausliefern können.”

Moderator: “TN 2, Du hast davon gesprochen, dass die Anforderungen an die Entwickler Mist sind. Was heisst das? Was schlĂ€gst Du vor?”

TN 2: “Wir brauchen einfach prĂ€zisere Anforderungen. Und jemand, der unsere RĂŒckfragen beantwortet. Wir schreiben eine Mail nach der anderen und bekommen keine Antworten, mit denen wir was anfangen können!”

Moderator: “Du möchtest also, dass wir darĂŒber sprechen, wie wir zu prĂ€ziseren Anforderungen kommen?”

TN 2: “Ja, genau!”

TN 3: “Das ist ja Aufgabe des Anforderungsmanagements. Dann sollten wir den Vorschlag erweitern um das Thema Anforderungsmanagement!”

Moderator: “Heißt das, dass du diskutieren möchtest, wie das Anforderungsmanagement prĂ€zise Anforderungen mit dem Kunden abstimmen kann?”

TN2 und TN3 nicken.

Moderator geht zum Flipchart und notiert: “V2: Wir sprechen darĂŒber, wie das Anforderungsmanagement prĂ€zise Anforderungen mit dem Kunden abstimmen kann.”

Nach und nach entsteht eine Liste von konkreten VorschlĂ€gen, worĂŒber die Gruppe sprechen könnte. Der Strom der Ideen versiegt und der Moderator bittet schließlich um Abstimmung. Die sogenannte Passivlösung wird ergĂ€nzt. Sie verdeutlicht, dass auch “Nichts tun” eine Option sein kann und Konsequenzen hat.

Die Sammlung der VorschlĂ€ge schließt immer mit der sogenannten Passivlösung: Sie macht deutlich, was geschieht, sollte sich die Gruppe gegen alle anderen VorschlĂ€ge entscheiden.

Der Moderator bestimmt den Werteumfang der Widerstandsskala. Was fĂŒr Teilnehmer mit HĂ€nden und Fingern leicht darzustellen sind, sind Skalen von Null bis Zwei (zwei HĂ€nde); Null bis FĂŒnf (Finger einer Hand) oder Null bis Zehn (Finger von zwei HĂ€nden). WĂ€hlt der Moderator z.B. eine FĂŒnferskala bedeutet der Wert FĂŒnf maximalen Widerstand, Null Finger bedeutet fĂŒr den Abstimmenden: “Ich habe keinen Widerstand, ich bin mit diesem Vorschlag einverstanden”.

Der Moderator ruft jeden Vorschlag einzeln auf und bittet die Teilnehmer mit ihren HĂ€nden bzw. Fingern anzuzeigen, ob und in welcher StĂ€rke sie bei einem Vorschlag Widerstand empfinden. Er addiert die individuellen Widerstandswerte und notiert auf dem Flipchart fĂŒr jeden Vorschlag die Summe der WiderstĂ€nde.

Nachdem alle VorschlÀge auf diese Weise bewertet wurden, lassen sich die VorschlÀge in eine Rangfolge bringen. Der Vorschlag mit dem geringsten Widerstand hat gleichzeitig die höchste Akzeptanz in der Gruppe.

Das Abstimmungsergebnis liegt vor, die Anzahl der WiderstÀnde je Vorschlag erlaubt die Kennzeichnung einer Rangfolge.

Die Gruppe kann auf diese Weise nachvollziehen, dass tatsĂ€chlich jeder Vorschlag WĂŒrdigung erfahren hat. Gleichzeitig wird fĂŒr alle sichtbar, welcher Vorschlag am meisten Energie in der Gruppe hat und kann entscheiden, VorschlĂ€ge in der festgestellten Reihenfolge umzusetzen.

Vorteil fĂŒr die Autoren der VorschlĂ€ge: Ein Autor möchte verstehen, warum sein Vorschlag hohen Widerstand hervorruft und kann bei denen nachfragen, die hohe Widerstandswerte gezeigt haben. In der Diskussion dieser WiderstĂ€nde werden sehr hĂ€ufig Ungereimtheiten aufgeklĂ€rt oder verbesserte VorschlĂ€ge eingebracht werden. Die Gruppe kann entscheiden, ĂŒber diese neuen VorschlĂ€ge erneut abzustimmen. Das wesentliche ist, dass die Gruppe zu jeder Zeit “Herrin des Verfahrens” bleibt.

GemĂ€ĂŸ des Grundsatzes jeder Gruppenmoderation “Störungen haben Vorrang” kann der Moderator auf jeden Einwurf reagieren. Zum Beispiel: “Moment mal, bevor wir das diskutieren, mĂŒssen wir erst klĂ€ren, ob grundsĂ€tzlich zusĂ€tzliches Budget organisiert werden kann!” Hier scheint ein ĂŒbergeordnetes Thema vorrangig, also wechselt der Moderator auf die Prozessebene. 

Methodisch empfiehlt sich hier ein zweites Flipchart, auf dem Vereinbarungen zum Prozess entschieden und dokumentiert werden. Der Moderator interveniert: “Der Teilnehmer schlĂ€gt vor, dass wir zuerst ĂŒber das Thema Budget sprechen. Gibt es WiderstĂ€nde bei diesem Vorschlag? Ich bitte um Handzeichen: Null, ein oder zwei HĂ€nde!”. Auch hier gelten dieselben Spielregeln wie oben dargestellt. Gibt es bei der Abfrage keinen Widerstand, gilt der Vorschlag “Erst ĂŒber das Budget sprechen” als angenommen. Ansonsten werden AlternativvorschlĂ€ge abgefragt, aufgeschrieben und abgestimmt. Ist die vorrangige Frage geklĂ€rt, kann die Gruppe mit dem ursprĂŒnglichen Thema fortfahren oder sie beschließt, einer anderen Frage nachzugehen.

Neugierig geworden?

Wollen Sie Systemisches Konsensieren in Ihrem nĂ€chsten Teammeeting ausprobieren? Sprechen Sie mich an und wir diskutieren Ihre konkreten Anforderungen! Ich beteilige mich gerne an Ihrem Weg zu Ihrer Lösung – im Zweifel durch konstruktive Fragen! Vereinbaren Sie jetzt gleich einen Termin!

Dieser Text erschien erstmals am 29. Juli 2020 als Praxisbeispiel in meinem Fachbuchbeitrag in “Sammlung Infoline 28: Außergewöhnliche Coaching-Methoden”, herausgegeben von Werner MĂŒller.

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